Journalistisches
© Barbara Henrike Schuhrk 2018
„Er ist so erfrischend und ehrlich,“ flüsterte die
amerikanische Lady im Saal der Avery Fisher
Hall im Lincoln Center, New York.
„Wer hier singen kann, singt überall“, heißt es
von diesem Ort - und Helmut Lotti konnte!
Das Publikum tobte, ließ sich mitreißen,
küssen, eilte zur Bühne, um ihn doch nur ein
einziges Mal berühren zu dürfen.
Kritiker überschlugen sich vor Lob:„Lotti singt
aufrichtiger als Die Drei Tenöre“ oder
„tatsächlich trifft er das hohe D öfter, als
Pavarotti nur davon träumt, das hohe C zu
treffen...“
HELMUT LOTTI EROBERTE NEW YORK
(EMI-Electrola)
Nicht die Amerikanische Nationalhymne zu Beginn des Konzertes war es, die das Publikum
begeisterte: Es war seine Art - und die war stets wie er.
Ehrlich und ganz Mensch. Auch, wenn er nur zwei Stunden geschlafen hat. „Die Kritik ist
phantastisch,“ freut sich der 29jährige. „Auf der anderen Seite muß ich das relativieren: Es
waren 3000 Menschen und ich weiß nicht, wie die anderen Amerikaner denken.“
Man darf nicht behaupten, der Erfolg stiege ihm zu Kopfe. Nein - das gleiche, schüchtern -
charmante Lächeln, die selbe leicht zurückhaltende, freundliche Art; der gleiche liebevolle
Umgang mit seinen Fans.
Helmut Lotti ist vielseitig. Mal wirkt er wie ein großer Junge, dem man gern eine heiße
Schokolade kochen möchte.
Dann redet er wie ein Weiser, macht sprachlos, besticht.
Und sein Gesang spricht ohnehin für sich. Es dauerte nur einen Augenblick, bis das
amerikanische Publikum begann, bei Liedern von „Elvis“ die Hüften zu schwingen; mit Tränen
in den Augen gegen die Gänsehaut zu kämpfen, beim Höhepunkt des Abends:
Die Halle verdunkelte sich, das Orchester verstummte und Helmut Lotti schritt ohne
Mikrophon in die Mitte der Bühne, um dort den letzten Vers von Pavarottis`“Caruso“ zu
singen; wahrhaftig, ehrlich - nur seine Stimme.
„Das amerikanische Publikum ist sehr ehrlich.
Locker, spontan - etwas wild vielleicht. Aber ich mag es. Sie rufen „we love you“ oder
ignorieren dich,“ erklärt Lotti. Sie würden stets zeigen, was sie denken - im Guten wie im
Schlechten. „In Holland hingegen kann man den ganzen Abend singen ohne zu wissen, ob es
nun gut ist oder es nicht gefällt.“
Im Mai des kommenden Jahres wolle er zurückkehren, nach New York. „Der Erfolg war groß,
hat mich sehr gefreut, aber ich muß erst sehen, daß meine Musik wirklich gemocht wird,
bevor ich es tatsächlich glauben kann.“
Erfolg an sich ist ihm gar nicht so wichtig. Wichtig ist der Applaus: „Habe ich keinen Erfolg
mehr, werde ich singen - weil es mir Spaß macht, die Menschen applaudieren. Gibt es aber
keinen Applaus mehr, höre ich auf und singe zu hause,“ weiß er.
Den Menschen eine Freude zu bereiten - das zählt für ihn, das wird bemerkt:
Eine amerikanische Zuschauerin stellte fest, man müsse ihn in den Arm nehmen wollen, das
könne keine Berechnung sein. „Natürlich ist Singen auch Schauspielern,“ gibt Lotti zu. „Aber
meine Bühnenshow - das bin ich selbst. Ich fände es schwer, so etwas zu spielen, es wäre
unehrlich. Ich bin immer mitten in dem Lied, was ich singe.“
Lediglich völlig preisgeben würde er sich nicht auf der Bühne. Damit meint er vor allem
seinen schwarzen Humor. Der habe bei seinen Auftritten nichts zu suchen, das könne
schließlich nicht jedermann mögen. „Ich bin sehr ehrlich, relativiere aber immer. Und manche
Menschen können das nicht.“
Einen Tag nach dem Konzert in New York ging es nach Boston - mit dem gleichen Erfolg. Drei
Tage später nach Südafrika... „Das ist sicher anstrengend, aber wenn ich eine Nacht gut
durchschlafe, bin ich am nächsten Tag wieder okay.“
Das Reisen, die Auftritte empfindet Lotti nicht als anstrengend.
„Kräftezehrend ist nur das Warten. Wenn ich stundenlang mit dem Wagen unterwegs bin, ist
das völlig in Ordnung. Aber zwei Stunden am Flughafen zu warten, dann zu fliegen, wieder
warten zu müssen - das finde ich schrecklich.“
Die Kraft dafür schöpft er in erster Linie aus der Liebe: „Liebe ist ganz wichtig für mich - und
ich bekomme unheimlich viel von den Menschen zurück, die positiv auf mich reagieren. So,
wenn seine Tochter Messalina (7) ihm direkt nach dem Konzert herzlich gratuliert.
Er wird nachdenklich. „Ich habe der Kleinen etwas aus Amerika mitgebracht, sie freut sich
sehr darauf. Das Problem ist nur, daß ich nicht weiß, wann ich es ihr endlich geben
kann.“„Dennoch freue ich mich über die Zeit in Südafrika. Ich werde endlich auch mal ein
paar Tage frei haben, den afrikanischen Sommer genießen. So kann ich etwas Farbe
bekommen - im Moment bin ich einfach nur grau...“
Nach seiner Rückkehr wird er in Deutschland die Goldene Schallplatte erhalten.
Wesentlich mehr Träume hat er bislang nicht.
„Ein Musical, ein eigenes Haus mit viel Raum und einer guten Aussicht,“ denkt er kurz nach.
Ein Star bleibt bescheiden.
Auch auf eine einsame Insel würde er nicht viel mitnehmen, drei Dinge lediglich: „Meine
Familie - das ist eine Sache. Ein Fahrrad und ein Pferd, um sich zu bewegen.“ Und wäre es
eine kleine Insel, so nur seine Familie - und einen Hometrainer!
Die Familie, Geborgenheit zählt für ihn. „Ich bin nicht gern allein.
Zwar gibt es Momente, in denen ich gern einmal für mich bin, aber ich habe furchtbare Angst
davor, allein alt zu werden.“ Geld zu verlieren, materielle Dinge, das sei ihm unwichtig. Angst
habe er nur vor Einsamkeit und physischen Schmerzen.
Helmut Lotti ist ein nachdenklicher, ruhiger Mensch.
Gibt es überhaupt etwas, was ihn aus der Ruhe bringen, richtig wütend, aggressiv
machen könnte?
Kurze Stille. „Wenn meiner Tochter etwas zustoßen würde, wie den Kindern im Falle von
Dutroux - dann wäre ich heute im Gefängnis, der lebte nicht mehr. Das klingt vielleicht
primitiv, aber so denke ich.“ Kinder - ohnehin ein Thema, was Helmut Lotti wichtig ist.
„Könnte ich ein paar Tage entscheiden, was in der Welt geschieht, würde ich einiges ändern.
Kinder würden nicht schon im frühesten Alter diszipliniert werden. Die Menschen werden zu
früh ihrer Freiheit beraubt.“ Das Schulsystem würde er einer gründlichen Reform
unterziehen:„ Kinder müßten ihre eigene Richtung wählen dürfen. Wenn jemand gut malt
und Chemie nicht begreift - warum muß er studieren?“ Außerdem wäre er dafür, daß jeder
weniger arbeitet - dann hätte jeder einen Job.
Er kichert: „Das System Geld wäre ebenfalls reformbedürftig. Ich würde es abschaffen.“
Dafür habe er allerdings keine Lösung parat. „Ich rede jetzt wie ein Café-Philosoph oder
Salon-Sozialist, aber das sind spontane Gedanken,“ entschuldigt er sich fast.
Für seine 29 Jahre grübelt er sehr viel. „Im Herbst werde ich 30“, widerspricht er entschieden.
Darauf freue er sich sehr. „Die Zahl hat mehr Qualität, wirkt ernsthafter.“ Das werde er dann
groß feiern. „Aber nicht zu sehr. Ich mag es nicht, wie Menschen sich verändern, wenn sie
trinken. Sie verwandeln sich in Tiere, betrügen ihre Frauen - und das ist durch Alkohol nicht
zu entschuldigen. Manche hängen dann an einem, brüllen in die Ohren, äußerst feucht.“
Bevor es so weit komme, ginge er lieber ins Bett. „Ich werde dann lediglich fröhlich, erzähle
vielleicht mal schmutzige Witze oder lache lauter. Aber zum Glück bleibe ich dabei völlig
normal.“ Eben ganz er selbst. Wie immer.
Barbara Schuhrk
Es war wie eine eingeschworene Gemeinde.
Bis zu neun Millionen Menschen saßen jeden
Sonntag gebannt vor dem Bildschirm. Das war
vor sechs Jahren. Lindenstrassen-Kult mit über
20 offiziell registrierten Fan-Clubs.
Heute sind die Macher froh, wenn sie sechs
Millionen Zuschauer vor den Fernseher
bekommen. Und am 16. April ist die 750.
Sendung.
Abgesackt und dennoch Kult - wovon man
hinter den Kulissen nicht viel spürt: Natürlicher
Umgang, fast freundschaftlich, eben doch die
grosse Familie.
LINDENSTRASSE HINTER DEN KULISSEN
“Gemütlich, etwas abgegriffen aber menschlich...”
“Die Leute haben ihre Lindenstrasse von früher nicht mehr wiedererkannt,“
so Pressesprecher Wolfram Lotze. „Wir haben uns zu sehr auf Themen konzentriert, anstatt
auf die Hauptdarsteller zu achten. Für die Fans sind die Personen wichtig, alles andere nur
Beiwerk.“ Seit Dezember vergangenen Jahres laufen wieder folgen nach dem alten Prinzip,
und prompt steigen auch wieder die Quoten.
Die Lindenstrasse ist tot - es lebe die Lindenstrasse.
Noch sind 14 Schauspieler von Beginn an dabei. Allen voraus Marie-Luise Marjan, schon fast
besser als Mutter Beimer bekannt, und Annemarie Wendl alias Else Kling. Klausi Beimer,
Moritz A.. Sachs, haben wir quasi aufwachsen sehen. Ans Aussteigen denkt er nicht, seine
Rolle habe ihn nicht festgelegt: „Ich bin nicht Klausi, sondern ich.“-
Auch Franz Rampelmann ist seit 14 Jahren dabei, läuft durch die Strasse, blickt sich um, als sei
er lange nicht mehr dagewesen. „Wie die Lindenstrasse früher war,“ doziert er. „Gemütlich,
etwas abgegriffen, aber menschlich.....“
Auf 150 Meter Außenkulisse und 2500 Quadratmetern Studiofläche spielten sich Freud
und Leid der Bewohner.
Man saugt es auf, hält es für „allzu lebendig und gewohnt“ oder man hasst es – dazwischen ist
nicht viel. Da gehört es eben dazu, dass Berta Griese Post bekommt, man habe den
vermissten Gatten auf dem „Traumschiff“ gesehen, sie müsse nicht mehr suchen...
Fünfzig Prozent seiner Erlebnisse würde Rempelmann als „Trautes Heim, Glück allein,“
bezeichnen. Und tatsächlich - vor den Toren der Stadt Köln ist auf dem WDR-Gelände in
Bocklemünd die Welt noch in Ordnung:
80 Pfennig kostet das belegte Brötchen, für 50 Pfennig gibt es einen Kaffee in der Kantine, der
wach hält bis in die frühen Morgenstunden des folgenden Tages
Nebel, die Bäume sind noch kahl, aber hier stehen die Linden in vollem Laub.
Mangrovenblätter, die Manfred Lohmar- Szenenbildner seines Zeichens, verarbeitet. Im
Hochsommer wird dann frühzeitig entlaubt. Er sorgt für das Profil der Familien, durch Möbel,
Bilder, frische Küchenkräuter bei Mutter Beimer oder der Besen von Else Kling.
Den realen Touch, dass zwei Familien sich ein Bad teilen, sieht man nicht: Wanne und Kacheln
werden getauscht. Auch dass das Treppenhaus nur ebenerdig ist kann niemand ahnen. In
einer Ecke des Studios steht ein vierstöckiges Treppenhaus mit Aufzug. Der Imbiss „Aloisius-
Stub’n“, der Fahrradladen, das Reisebüro und das „Café Bayer“ lassen sich bespielen, alle
anderen Gebäude sind Fassade. Die Stimmung nicht.
Mittwoch, 9 Uhr 45, Klappe 759/23, Hinterhof.
Keine Tristesse: „Die Drehbücher werden besser. Die Quoten auch,“ murmelt Else Kling. Noch
200 Folgen vorher soll sie Produzent Geißendörfer als „Ausbeuter“ beschimpft haben – doch
muß alles nur ein Kampf zwischen Herstellungsleiter Huth und Geißendörfer selbst gewesen
sein. „Wir hatten alle nicht miteinander gesprochen und doch wurde uns ein Streit
angedichtet,“ erinnert sich Marie-Luise Marjan. „Hier war immer alles in Ordnung, manches
muß man sicher skeptisch sehen, aber das positive überwiegt.“ Hinter den Kulissen eben...
Franz Rampelmann, Elses Seriensohn Olaf, fröstelt ohne zu leiden: „So oft muß ich nicht
frieren. 40 Grad in der Daunenjacke mit Kunstschnee wegen der ersten Weihnachtsfolge sind
nicht zu überbieten.“
Man schwitzt eben mehr, als dass man friert. Zur Not helfen drei Paar lange
Unterhosen.
Die helfen nicht, wenn man hängt. Das war sein schlimmstes Erlebnis. „Um zehn Uhr abends,
wenn alle nach Hause wollen... ein neuer Regisseur, 40 Leute, es war ein Alptraum.“
Und das schönste? „Lustiges gibt es hier nicht“, kichert er.
Nein, mit dem Willi Herren habe man immer Spaß, mit der Marjan sowieso. „Sie ist die
verhinderte Regisseurin und dirigiert attraktive Männer wie mich herum, dass man sich retten
muß...“ Der Charme des kollegialen...
Am 8. Dezember 1985 wurde die erste Folge der Lindenstrasse ausgestrahlt und sie war die
erste deutsche Serie, die elektronisch und mit mehreren Kameras gleichzeitig produziert
wurde. Neuland und Maßstab zugleich....
Politisch korrekt, ein ideeles und ideales Gesamtdeutschland mit Bayern und Preußen,
Schwulen und „Mädchen alter Schule“, Nazis und Autonomen.
Mehr als 200 wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen wurden verfasst. „Ein
Staatsexamen im Fach Kunst-Erziehung –„Grafikserie zum Thema die Toten in der
Lindenstrasse“ oder die theologische Arbeit an der Universität Freiburg „Kritik am Dualismus,
Realität und Fiktion und dessen Überwindung durch das Symbol am Beispiel der
Lindenstrasse“,“ berichtet Ilonka von Wisotzki vom Pressebüro nicht ohne Stolz.
Das hat seinen Preis: Seit 1996 werden die Folgen digital nachgearbeitet, eine davon kostet
rund 350.000 DM. Dabei werden 185 Meter MAZ-Band verarbeitet, die Nachbearbeitung
dauert zwei Tage, Kopien, Ausschnitte, Übertragungen, ist nach einer Staffel alles gut
abgeschlossen, folgt ein feuchtfröhliches „Bergfest“. Zum Feiern und Kennenlernen, denn
„manche Kollegen sehen sich gar nicht.“
900 Scheinwerfer beleuchten die Sets, 90.000 Requisiten stehen für die Stars zur
Verfügung.
Das sind rund 4 Waschmaschinen am Tag, eine Stunde Bügeln, zuvor noch ein Konzept,
Anziehen, jeder hat seine eigenen Wünsche „bei manchen gibt es dazu noch einen gewissen
Exhibitionismus,“ weiß man in der Garderobe. Der endet, wenn die geplatzte Hose eben doch
nur schnell geklebt wird, die Hosenbeine umgebunden werden.
„Die sind auch nur Menschen, “ lächelt Innenrequisiteurin Daniela Groß. Es riecht nach Gyros.
Angesichts der Uhrzeit kein Duft. 20 Teller kaltes Fleisch – kann man da noch Appetit
bekommen, in der Akropolis? „Ich hab keinen Hunger mehr, wenn ich morgens früh soviel
Gyros vorbereite,“ gesteht sie. Weil es den meisten so geht, landet es anschließend im
Schweineeimer.
Appetitlicher geht’s im betriebseigenen Kindergarten „Villa Kunterbunt“ zu. Und hält, was der
Name verspricht. Da tobt schon um halb zehn das pralle Leben. Rund 50 Kinder waren dort
im Laufe der Jahre untergebracht, von der Tochter der Garderobenfrau bis hin zu Kinderstars.
Anna Sophia alias Lea(3)ist Schauspielerin und bereitet sich mit Bauklötzen auf ihren Einsatz
im Gastraum der Akropolis zu. Eine Minute 20 Sekunden, dann kann sie wieder mit Leiterin
Sandra Marschner spielen. „Wir haben flexible Zeiten, vier Tage die Woche, Kinder von 1 ½ bis
4, aber auch ältere Schauspielerkinder kommen uns besuchen.“ Die Lindenstrasse mag
Kinder – und Kinder mögen die Lindenstraße, wie eine deutsche Tageszeitung per Umfrage
schon feststellte, mit der Begründung, dass Kinder in der Serie ernstgenommen würden,
nicht bevormundet, nicht verniedlicht und auch die Moralpredigt fehle.
Am 8. Dezember 2000 feiert die Lindenstrasse ihren 15. Geburtstag - und der Vertrag mit der
ARD läuft noch bis zum Jahr 2002 - bis einschließlich zur 884. Folge.
Wir werden auch Lea aufwachsen sehen...
Barbara Schuhrk