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FRAGMENTE
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Abschied

(2002)

 Abschied ist nicht, dass man fort ist, sondern nur woanders. Du hast mich mal gefragt, woher Todessehnsucht kommt. Es gibt Menschen, die leben und zugleich leben sie nicht. Lebendige Tote, blutleere Lebende. Die Leere in ihnen prägt und doch ist das Leben überfüllt. In der Nacht der Geburt ein Unwetter. Das Dach abgedeckt, der Balkon der Nachbarn im Garten. Ein Zeichen? Schwarz war die Farbe - von Geburt an. Du hast gefragt, warum ein Kind eine Lebensversicherung sei. Eigentlich Selbstbetrug: Was hat ein Kind von einem Menschen ohne Lächeln, dessen schweres Gemüt nach Aussen dringt? Ist es nicht besser mit einem Lächeln in der steten Erinnerung? Manche Menschen sind freier. Zugleich aber tragen sie Ketten von einer Schwere, die Luft raubt, die Brust schnürt, auf dass kein Atem mehr möglich ist. Warum an Freiheit festhalten, warum ein hoffnungsloser Optimist sein?! Weil Hoffnung am Leben hält, aufrecht gehen lässt, das Rückrad stärkt - und den Blickwinkel manchmal schmälert. Andere nennen es Selbstbetrug. Die Alternative ist ein Rückzug nach innen. Gedanken sind frei. Immer und überall. Doch wenn man sie nicht leben kann, Träume greifbar sind, Chancen aufgehoben werden wollen, und Ketten nicht erlauben, die Hand auszustrecken, hilft auch kein Rückzug mehr. Frei ist nicht der, der Regeln bricht. Frei ist der, der agieren kann, statt auszuführen. Du hast gefragt, warum manche Menschen die Fremde mehr lieben, als die Heimat. Es ist die Freiheit. Freiheit vom eigenen Kopf und von jenen, die Freiheit rauben, die Pflichten ohne Rechte einräumen und Leere geben, gleichgültig wie wenig Zugriff sie haben. Leere durch Ignoranz. Jedes Wort überflüssig. Die Augen taubenblau - wie die Ohren. Vielleicht ist deshalb eine solche Liebe Flucht. Doch ich glaube es nicht. Ich glaube, es ist ein Weg. Kein Selbstmitleid - nur Rückzug. Nicht, weil man zerbricht, sondern weil man die Grenze des Zerbrechens direkt unter sich spürt. Dann will man niemanden mitnehmen, in den Taumel, das Straucheln. Da ist Angst. Angst, niemanden im Zerbrechen mit sich zu nehmen, denn man ist verantwortlich für Menschen, die man liebt. Zwei Wege gibt es, vielleicht drei: Den des Zerbrechens, des Grenzganges und den des Aufbruchs. Zerbrochenes kann nicht mehr bersten, die Grenze ist da und eines Tages wird der Aufbruch kommen - so oder so. Ein Ausbruch, der Ruhe und Frieden birgt. Mit jedem Mal wird die Gefahr grösser und der Tag kommt näher, an dem man geht und alles gut wird. Damit möchte man niemandem weh tun. Vielleicht der Grund, dass manche fürchten, geliebt zu werden: Um niemandem Schmerz zuzufügen. Darum die Angst vor Nähe. Nähe ist grenzenlos. Egal wo immer man ist und wie man ist. Nähe zu sich selbst hat Grenzen.